„Männer haben mehr Verständnis“

Wie Maren mit ihrer Lipödem-Erkrankung im Studium zurecht kommt, erzählt sie hier.

Die Diagnose Lipödem bekam Maren kurz vor Antritt ihres Studiums. Sie hatte sich für einen Studiengang mit hohem Männer-Anteil entschieden. Wie gerade ihre männlichen Kommilitonen mit der Erkrankung, die überwiegend Frauen betrifft, umgegangen sind und wie sie auf Marens Kompression reagieren, erzählt die 24-Jährige in ihrer Mutgeschichte.

Marens Interesse galt schon immer technischen Dingen – während ihre Mitschülerinnen lieber mit Puppen spielten, baute Maren Vogelhäuser. Auch in der weiterführenden Schule entschied sie sich für das Fach „Elektro“ statt wie für Mädchen empfohlen das Fach „Hauswirtschaft“. Daher stand für Maren auch schnell fest, beruflich in diesem Bereich Fuß zu fassen. Sieben Praktika in den Sommerferien hatten sie in ihrem Vorhaben bestärkt: Nach der mittleren Reife begann sie eine Ausbildung zur Mechatronikerin und ihr Interesse an diesem Aufgabengebiet wuchs immer weiter. Das Abitur machte Maren an der Abendschule – während ihrer Ausbildung. Eine intensive und stressige Zeit, die nicht spurlos an ihr vorbei ging. Denn allmählich nahm die gebürtige Schwäbin eine Veränderung an ihrem Körper wahr. „Die Arbeitsbekleidung saß irgendwann nicht mehr ganz so locker und auch meine Proportionen veränderten sich. Ich nahm immer mehr zu“, beschreibt Maren rückblickend ihre Ausbildungszeit.

Damals wusste sie nicht, was Ursache für diese Veränderungen war. Es war ihr Freund, der durch einen Fernsehbeitrag auf die Krankheit Lipödem aufmerksam wurde, sie anrief und feststellte: „Schau mal, die Frau sieht aus wie du!“ Ein anschließender Arztbesuch klärte die Fragezeichen auf: Maren hat Lipödem Stadium II an Armen und Beinen. Die Therapie, die der Arzt ihr verschrieb: eine rundgestrickte Kompressionsstrumpfhose als Maßanfertigung, sonst nichts. Neben dem Frust über den hohen Selbstkostenbeitrag kam Maren mit der Versorgung überhaupt nicht zurecht. Das Material schnürte überall ein, drückte unangenehm und ging aufgrund der robusten Berufsbekleidung viel zu schnell kaputt. Verständlich, dass die Strumpfhose in der hintersten Ecke im Kleiderschrank verschwand.

„Dass du als Frau in einem Männerberuf mit einem Kleid erscheinst, fanden gerade die Männer cool.“

Auf die richtige Kompression gekommen

Etwa zwei Jahre später startete Marens Mutter einen neuen Versuch – sie vereinbarte für Maren einen Termin bei einem Kölner Facharzt, buchte Zugtickets und ein Hotel und fuhr mit ihrer Tochter zum Spezialisten. Zwar bestätigte dieser die Diagnose seines Vorgängers, doch die Therapie war nun eine andere: flachgestrickte Kompression für Arme und Beine. So begann Maren ihr Studium zur Mechatronikerin mit den entsprechenden Kompressionsversorgungen. Aufgrund von Schamgefühlen versteckte die Studentin ihre Kompression unter dicken Jeans und langen Ärmeln. Neben den zermürbenden Gefühlen kamen auch noch spürbare Nachteile hinzu: Maren konnte ihren Stift nicht lange halten, in Klausuren schrieb sie zu langsam und geriet in Zeitnot, bei sommerlichen Temperaturen ohne Klimaanlage mit zig anderen Studierenden schwitzte sie extrem und auch der ständige Raumwechsel, das häufige Aufstehen und Hinsetzen sorgten für wunde Kniekehlen und eingeschlafene Füße.

Vor allem aber hatte sie Schmerzen im Bauch, denn neben der Kompression drückte auch die Jeans im Sitzen auf ihren Magen. Eine Kommilitonin half ihr dann auf der Toilette beim Ausziehen der Strumpfhose. Zwar riet ihr Arzt dazu, die Kompression am Tag auf wenige Stunden zu reduzieren und die Tragedauer langsam zu erhöhen, doch dieser Vorschlag stimmte sie nicht vollkommen zufrieden. Eine andere Lösung musste her und so begab sich Maren auf „die Reise zu mehr Selbstbewusstsein“, wie sie ihre Entwicklung beschrieb. Dazu gehörte beispielsweise auch Kleider und Röcke. Bisher trug sie – auch aufgrund ihres Berufslebens – ausschließlich Hosen. Nicht ein Kleid hing in ihrem Kleiderschrank.

Gemeinsam mit ihrem Freund ging sie shoppen und mit jedem neuen Teil, das sie anprobierte, wuchs auch ihr Selbstbewusstsein. An diesem Tag kaufte Maren ein knielanges, schwarz-weiß gestreiftes Kleid, zu der ihre rote Kompression bestens passte. „Ich hatte mich ursprünglich für rot entschieden, weil ich dachte, die Kompri sieht ja eh keiner. Damals wusste ich ja noch nicht, dass ich meinen Kleidungsstil ändern würde.“ Vor allem die Komplimente aus ihrem Umfeld stimmten Maren zuversichtlich – ihre „schöne Sanduhr-Figur“ wurde häufig positiv erwähnt: „Dass du als Frau in einem Männer-Beruf mit einem Kleid erscheinst, fanden gerade die Männer cool“, fasst sie ihre ersten Besuche in der Uni mit dem neuen Selbstbewusstsein zusammen. Und so hatte die positive Rückmeldung dazu beigetragen, immer mehr Kleider und Röcke zu ihrer Versorgung zu kombinieren.

 

Das ist DAS Kleid

„Jeder, dem zu erzählst, was medizinische Kompressionsstrümpfe sind, denkt erstmal, ich hätte Venenleiden. An Lipödem denkt keiner, weil so viele von dieser Krankheit nichts wissen.“

Nur bei der Farbwahl ihrer Kompressionsstrumpfhosen greift Maren mittlerweile lieber zu gedeckteren Farben. „Die lassen sich dann leichter zu den bunten und farbenfrohen Kleidern kombinieren.“ Wenn es doch mal etwas „aufregender“ sein soll, entscheidet sich Maren für eine Schmucknaht, z. B. mit Glitzer. Ihre Kommilitonen reagieren durchweg positiv und zeigen keinerlei Berührungsängste: „Meine Kommilitonen wissen, dass ich Lipödem habe und unterstützen mich, so gut es geht. Generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass Männer prinzipiell mehr Verständnis haben als Frauen. Vielleicht liegt das daran, dass sie die Tragweite der Erkrankung nicht einschätzen können und dem Thema Kleidung/Mode generell nicht so viel Aufmerksamkeit schenken.“

Es könnte aber auch daran liegen, dass Maren in einer familiären Atmosphäre studiert. Aufgrund ihres Schwerpunktes ist die Gruppe an Studenten recht klein – man kennt sich. Dennoch würde sie sich wünschen, dass die Vorurteile für Kompressionsstrümpfe im Allgemeinen nachlassen. „Jeder, dem du erzählst, was medizinische Kompressionsstrümpfe sind, denkt erstmal, ich hätte Venenleiden. An Lipödem denkt keiner, weil so viele von dieser Krankheit nichts wissen.“

 

Maren ist eine #LipödemMutmacherin

Maren nutzt heute ihren Instragram-Auftritt @mar_lip_osa, um von ihrem Lipödem- und Kompressionsalltag zu berichten und so die Aufklärungsarbeit voranzutreiben. Dabei setzt sie sich nicht nur mit den verschiedenen Ausführungen und Materialien auseinander, sondern gibt viele nützliche Zusatzinformationen zum Beispiel zum Thema „Mode“, „Sport“ und „Ernährung“. Maren hat keine Scheu, ist medienaffin und probiert gerne verschiedene Instagram-Funktionen aus. Zudem benutzt sie regelmäßig den Hashtag #LipödemMutmacher, eine Initiative für lipödembetroffene Frauen, die von Ofa ins Leben gerufen wurde.