Aktmodell mit Lipödem
„Könnten Sie sich mal ein wenig drehen, wir wollen auch mal Ihren Hintern zeichnen.“ Das ist die Geschichte von Kathrin, die ihr Selbstbewusstsein mithilfe des Aktmalens aufwertete – trotz ihrer Krankheit Lipödem.
Aktmodel zu sein, war nie mein Lebensziel. Auch wenn es bei uns daheim immer normal war, nackt aus der Dusche zu kommen, während meine Mutter gerade Zähne putzte. Beim Mannschaftssport war es völlig normal mit den anderen Mädchen nach dem Training in der Gemeinschaftsdusche zu duschen. Trotzdem ist es noch einmal etwas anderes, vor wirklich Fremden seine Problemzonen zu zeigen, sogar ohne wenigstens einen kaschierenden Badeanzug darüber zu tragen. Da ich selbst das Freibad immer gemieden habe, bin ich heute unglaublich stolz mit meinem Körper (wenigstens zu 90%) im Reinen zu sein.
Wie es dazu kam
Meinen ersten Kontakt zum Aktzeichnen bekam ich auf einer Kunstreise. Eine meiner Mitbewohnerinnen in dieser kleinen Stadt in der Toskana lud uns „junge“ Kunststudenten eines Abends ein, mitzumachen. „Wir zeichnen heute Akte, wollt ihr mitmachen? Dafür müsstet ihr dann aber auch einmal stehen, wir haben ja nur uns und jeder möchte ja mal zeichnen.“ Das hörte sich für mich plausibel an. Und plötzlich reizte es mich. So etwas Persönliches zu zeichnen, sich selbst andern ganz zu offenbaren, seine Angst zu überwinden. Ich hätte mir nie verziehen, wenn ich diese Erfahrung nicht gemacht hätte. So zeichnete ich immer mal wieder mit und musste letztendlich auch selbst die Hüllen fallen lassen.
Erst war es seltsam. Man überlegt sich, was denken diese Menschen, die einen von oben bis unten betrachten, Schatten und Licht in deinem Körper suchen, und plötzlich auch ganz kritisch einen Stelle fixieren. Nein, sie finden dich nicht hässlich, sie kämpfen nur gerade mit ihrem Kohlestrich und verzweifeln vielleicht an der Proportion, sagte ich mir immer wieder. Und so war es dann auch. Zwischendurch kam ein „So sind deine Brüste echt in Szene gesetzt“ und ein „Ja bleib so, das sieht toll aus“. Und so schnell schaute ich gar nicht, da war es schon wieder vorbei.
Mit Kurven und Dellen
Die Ergebnisse waren erstaunlich. Ich erkannte mich in jedem der Bilder. Und das aber nur, weil sie alle die „besonderen“ Aspekte meines Körpers erkannt und umgesetzt haben. Besonders sind mein großer Hintern oder meine kleine Oberweite, aber diese Aspekte machten die Person auf dem Bild zu mir und das ist das, was zählt.
Und ja ich habe ein Lipödem. Ja, meine Beine sind schwabbelig, dellig, groß, und Knie habe ich leider auch keine. Mein Hintern kann eins – er ist eine sehr bequeme Unterlage beim Sitzen. Und plötzlich wurde ich immer wieder gefragt, ob ich gerne Modell stehen wollte. „Es trauen sich sonst immer nur die dünne Mädels, die Zeichner wollen auch mal etwas mit Kurven zeichnen.“
Ich erzähle oft von diesen Erfahrungen, damit die Menschen merken, dass Aktmodell zu sein nichts Verwerfliches ist, sondern eine Möglichkeit, endlich mit seinem Körper klarzukommen und in zu lieben.
„Das war ich – und ich war schön“
Ich stand noch ein paarmal bei öffentlichen Kursen, die eine Freundin leitete. Völlig fremde Menschen, die dich mustern, genau ansehen, jede Speckrolle von dir auf ihrem Papier abbilden, aber unter künstlerischen Aspekten. Ich hatte nie das Gefühl, dass jemand sich über mich lustig machte. Eine ältere Dame fragte mich einmal, ob ich mich bei der nächsten Pose ein wenig drehen könnte, damit sie auch mal meinen Hintern zeichnen dürfte. Ich weiß, dass ich eher eine barocke Figur habe (kleine Oberweite, großer Unterkörper), aber genau das fand sie ästhetisch, wert zu zeichnen. Und das Selbstbewusstsein sprudelte immer mehr aus mir heraus, als ich die wundervollen Ergebnisse betrachten durfte. Das war ich – und ich war schön.
Ich erzähle oft von diesen Erfahrungen, damit die Menschen merken, dass Aktmodell zu sein nichts Verwerfliches ist, sondern eine Möglichkeit, endlich mit seinem Körper klarzukommen und in zu lieben. Trotz des Fettes, dieses unglaublich nervigen, gemeinen und unsterblichen Fettes, habe ich mir ein Selbstwertgefühl aufgebaut – auch wenn Aktmodell zu sein vielleicht nichts für jeden ist. Wichtig ist, etwas zu finden, das einem das Gefühl gibt, seinen Körper nicht nur zu akzeptieren, sondern zu lieben.