„Ich hatte kein Gespür für meinen Körper“
Ein Interview mit Lipödem-Mutmacherin Jana, die in jungen Jahren ihre Diagnose erhielt und seitdem einige Rückschläge hinnehmen musste
Jana ist aufgeschlossen und sympathisch – ihr charmantes Lächeln lässt die 27-Jährige unbeschwert und offenherzig wirken. Doch Janas Leben ist alles andere als unbeschwert: Obwohl sie schon einen OP-Marathon hinter sich gebracht hatte, kam das Lipödem wieder. Jetzt sind auch ihre Arme betroffen. Im Interview erzählt die Studentin, wie es ihr seit dem Rückschlag ergeht.
Wie wurdest du auf die Krankheit Lipödem aufmerksam?
Schon in meiner Kindheit waren Gewicht und Figur immer ein Thema. Mit 10 oder 11 Jahren habe ich an einem Ernährungs- und Sportprogramm einer Krankenkasse teilgenommen. Bis dahin hieß es von allen Seiten: „Das ist noch Babyspeck, das verändert sich. Du musst dich einfach mehr bewegen und gesund essen, dann kann nichts passieren.“ Von da an begann die reinste Odyssee.
Mit Beginn meiner Regel nahm ich weiterhin am unteren Rumpf zu. Dass ich Beschwerden in den Beinen hatte, das war mir nicht klar. Beim Schulsport oder auch beim Volleyballtraining wurden alle Schwierigkeiten auf mein Gewicht geschoben. Und auch ich hatte kein Gespür für meinen Körper. Ich dachte, so fühle es sich eben an, wenn „man mehr auf den Rippen hat“. Einen Vergleich zum „normalen Zustand“ hatte ich nicht (mehr). Bis zu meinem 19. oder 20. Lebensjahr lief ich zu den verschiedensten Ärzten, Ernährungsberatern sowie Sportexperten, ja sogar bei einer Lebens-/Krisenberatung bin ich schon als Jugendliche gewesen. Irgendetwas schien mit mir schließlich nicht zu stimmen.
Wie ging es dann weiter?
Eines Tages kam meine Mama abends von der Arbeit nach Hause und eine Arbeitskollegin erzählte ihr von einem TV-Beitrag über das Thema Lipödem, dessen Symptome und Behandlungen. Wir schauten uns den Beitrag noch einmal gemeinsam an, in dem neben einem Experten auch eine betroffene Frau sprach, und ich fühlte mich das erste Mal angesprochen und vor allem verstanden. Von dem Tag an hat es dennoch ein weiteres Jahr bis zur Diagnose gedauert, denn der Ärzte-Marathon ging weiter.
Seit wann hast du deine Diagnose?
Im Jahr 2011 wurde dann die Diagnose Lipödem gestellt. Ich holte mir sogar die Meinung von zwei weiteren Ärzten ein, da ich nach einem langen Auf und Ab nun sicher sein wollte. Lipödem also – ein Schock einerseits, eine Befreiung andererseits. Ich wusste, dass ich alleine nicht schuld an allem war.
Was mich nervt, ist, nicht zu wissen, was an mir eigentlich Lipödem ist und was nicht. Was davon kann ich beeinflussen, was nicht.
Wie sah dann deine Therapie aus?
Die ersten zwei Jahre nach der Diagnose bekam ich ein bis zwei Mal pro Woche Manuelle Lymphdrainage (MLD). Seit meiner Teil-Operation (Liposuktion) im Jahr 2013 kann ich auf die MLD verzichten. Diese kann ich gut durch Sport in Kompression oder durch Schwimmen ersetzen. Meine Kompressionshose trage ich seit der Diagnose dennoch täglich. Nur zuhause, wenn ich mich jederzeit hinlegen kann, dann lasse ich sie auch mal weg.
Du hast bereits 2013 eine Liposuktion hinter dich gebracht. Wie ist es dir damals ergangen?
Nach einem Beratungsgespräch 2013 wusste ich sofort: „Das möchte ich gerne machen!“ Keine Aussagen des Arztes über den OP-Verlauf, keine Fotos von Wunden konnten mir ein Gefühl von Angst oder Bedenken geben. Während meiner Mama, die mich zu dem Gespräch damals begleitete, die Kinnlade herunterfiel, hatte ich das erste Mal seit einer Ewigkeit das Gefühl: Ich werde verstanden, mir kann jemand helfen. Ich hätte mich am liebsten sofort auf den OP-Tisch gelegt. Das wirklich Schmerzhafte daran war eigentlich das Geld, das wir aufbringen mussten. Die Krankenkasse hatte die Kostenbeteiligung abgelehnt.
Damals wurden drei Operationen angesetzt und durchgeführt:
- 1. OP: Oberschenkel außen und Hüfte (September 2013)
- 2. OP: Oberschenkel innen und Knie (Oktober 2013)
- 3. OP: Oberschenkel vorne (November 2013)
Ich habe auf jeden einzelnen Operationstermin hin gefiebert. Von OP zu OP und vor allem in der Zeit danach hatte sich tatsächlich einiges verändert und verbessert.
Warst du danach beschwerdefrei?
Nach den Operationen hatte sich mein Schmerzempfinden in den Beinen sehr stark reduziert. Ich würde sagen, ich war zu etwa 95% beschwerdefrei. Ich konnte endlich wieder Fahrrad fahren. Mir war vor den Operationen gar nicht so bewusst, dass mir Fahrrad fahren eigentlich total schwergefallen ist. Plötzlich „schwebte“ ich mit meinem Fahrrad. Ich hatte neue Motivation in Sachen Sport und Freizeitaktivitäten. Da machte es mir gar nicht so viel aus, dass ich trotz alledem nicht auf die Kompressionshose verzichten konnte. Neben dem neuen, guten Gefühl in den Beinen hatte sich auch mein Wohlbefinden und Selbstwertgefühl stark zum Positiven verbessert.
Als ich plötzlich auch erneute Beschwerden auf der kompletten Beinrückseite bis zum Gesäß hatte und mir diese stechenden, kribbelnden, häufig punktuellen Schmerzen bekannt vorkamen, wusste ich: Es ist wieder da… Mit der Frage an mich selbst: Bin ich selbst daran schuld?
In deinem Instagram-Profil liest man: „2018:Rückschlag“. Was bedeutet das konkret?
In den Jahren nach der Liposuktion war dann leider doch nicht alles so einfach, wie erhofft. Dies hatte aber weniger mit der Liposuktion an sich zu tun, sondern damit, dass der Alltag häufig einiges bestimmt und das Leben leider manchmal seine eigene Geschichte schreibt. Nachdem ich im Sommer 2015 meine Berufsausbildung erfolgreich beendet hatte, begann ich mit meinem Studium. Dieses gab mir die Möglichkeit, noch flexibler im Alltag zu sein, was meine Ernährung und den Sport betrafen. Ich entdeckte endlich wieder neuen Kampfgeist in Sachen Sport. Das erste Mal sagten Anfang 2016 Leute zu mir: „Wow, hast du abgenommen? Irgendwie hast du dich verändert!“ Und das Beste daran: Sie hatten endlich Recht! Ich spürte es auch und sah es an meinen Klamotten. Ich war auf dem besten Weg in ein neues Leben, in mein neues Leben.
Dachte ich… Im Mai 2016 hatten wir in der Familie leider einen unerwarteten Todesfall. Seither hatte sich alles verändert. Sport fiel zunächst komplett weg, Ernährung war auch eher Nebensache. Ein Alltag? Zunächst nicht möglich gewesen. Das Lipödem fiel komplett in den Hintergrund. Ich nahm leider auch wieder an Gewicht zu.
Anfang 2018 veränderte sich dann noch einmal alles. Ich hatte plötzlich, von jetzt auf gleich, ein seltsames Gefühl in meinen Armen. Eine Art Spannungsgefühl und manchmal ein Kribbeln. Zuerst dachte ich an ein Problem mit den Nerven, durch die viele PC-Arbeit, vermutete ich. Lipödem an den Armen, das kam mir zunächst gar nicht in den Sinn. Die Nerven waren allerdings alle intakt. Als ich plötzlich auch erneute Beschwerden auf der kompletten Beinrückseite bis zum Gesäß hatte und mir diese stechenden, kribbelnden, häufig punktuellen Schmerzen bekannt vorkamen, wusste ich: Es ist wieder da… Ich hatte neue Schübe, die mich manchmal auch nachts wachhielten. Dieses Mal meldeten sich also alle nicht operierten Stellen. Für mich ein totaler Rückschlag! Mit der Frage an mich selbst: Bin ich selbst daran schuld?
Wie gehst du mit dem Rückschlag um? Wer steht dir zur Seite? Wer hilft dir?
Meine größte Stütze ist meine Mama. Auch wenn sie nicht alles nachempfinden kann, da sie selbst nicht vom Lipödem betroffen ist, möchte sie mir gerne alles ermöglichen, damit es mir bessergeht. Es war zunächst total schwierig für mich, diesen „neuen“ Zustand zu akzeptieren. Deshalb suchte ich nach einer neuen Möglichkeit, mit Gleichgesinnten in Kontakt treten zu können. Ich fand heraus, dass sich mittlerweile eine große Community auf Instagram entwickelt hatte. Dieser wollte ich auch beitreten und erstellte mir einen neuen Instagram-Account. Das bedeutete für mich aber auch: Ab sofort gehe ich mit dem Thema Lipödem öffentlich um. Für mich bis heute nicht immer leicht. Dennoch fühle ich mich dort sehr gut aufgehoben und vor allem verstanden.
Möchtest du dich nochmal operieren lassen?
Auf jeden Fall! Ich hatte fast vergessen, wie gemein sich Lipödem-Schübe anfühlen können und wie unberechenbar diese sind. Da mich diese an den Rand meiner Verzweiflung brachten, blieb das Thema Liposuktion nicht lange aus. Im Februar 2019 habe ich einen erneuten Beratungstermin. Da ich manchmal ein ungeduldiger Mensch bin, gilt auch hier: Am liebsten würde ich mich sofort operieren lassen. Mein größter Wunsch ist es, danach endlich komplett „geheilt“ und beschwerdefrei zu sein. Dabei sollte man aber nicht außer Acht lassen, dass so eine Operation „nur“ den Anfang einer Veränderung macht. Körper und Seele gehören schließlich immer noch zusammen. Es ist ein langwieriger Prozess, auf allen Ebenen.
Was würdest du dir in Sachen Lipödem wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass Lipödem-Betroffene nicht so alleine gelassen werden. Noch immer werden viele Betroffene abgestempelt, durch Unwissenheit von Ärzten, aber auch durch Unwissenheit aller anderen. Das zieht einen Rattenschwanz an seelischen Wunden mit sich, bis hin zum Verlust der eigenen Weiblichkeit und des eigenen Körpergefühls. Und wer sich operieren lassen möchte, weil es die einzige Heilungsmethode ist, muss letztlich alleine dafür sorgen, diese bezahlen zu können. Ein teures neues Leben, was sowohl mit Geld als auch mit den eigenen, seelischen Wunden bezahlt werden muss.
Vielen Dank für das offene und persönliche Gespräch!
Unsere #LipödemMutmacher
Janas Instragram-Profil setzt sich mit der Krankheit Lipödem auseinander. Mithilfe der Posts lässt sie die Community an ihrem Leben teilnehmen. Das Lipödem spielt dabei meistens eine zentrale Rolle. Denn Jana ist jung, Studentin und lebenslustig. Die Krankheit verlangt ihr einiges ab, doch von ihren Zielen lässt sie sich nicht abhalten. Deshalb ist Jana Teil der Initiative #LipödemMutmacher. Dort berichtet sie über die Herausforderungen, ihre Sorgen und ihre Freuden.
Die Initiative #LipödemMutmacher richtet sich an Frauen, die von ihren täglichen Herausforderungen mit Lipödem berichten. Durch das Einsammeln von Posts verschiedenster Lipödem-Betroffenen entsteht so eine Informationsplattform, die in dieser Form einzigartig ist.
Jana ist eine Lipödem-Mutmacherin
In ihren Instagram-Posts zeigt sie sich von allen Facetten, was sie nervt, was ihr gefällt, was sie viel Kraft kostet und woher sie Mut schöpft.